Donnerstag, 11. Juni 2015

Glocknerman

Nach fünf Jahren hatte ich wieder das Verlangen ein Langdistanzrennen zu bestreiten. Ein 24h Radrennen wie damals 2010 in Fohnsdorf war mir zu gewöhnlich und so rückte "Der Glocknerman" in mein Blickfeld.
Warum macht man so etwas? Ziele finden, setzen und erreichen. Ganz einfach!
Nachdem die Entscheidung anzutreten, im Dezember 2014 gefallen war, ging ich ans intensive  Grundlagentraining. Viele lange Lauf- und Langlaufrunden wurden absolviert. Mitte März war ich dann ausschließlich am Rennrad unterwegs.
Vorbereitung 4.000km Rennrad und 40.000Hm. 
Aber nun zum Glocknerman.

Ich wusste, dass ich das Zeug habe den Glocknerman zu schaffen.
Doch der zweite Platz beim Schlossbergman - ein kurzer Bergsprint am Tag davor - überraschte mich dann doch.
Zu viel Intervall trainiert oder passt die Grundfitness?

Egal, ich werde es am nächsten Tag sehen. Immerhin habe ich mir eine Zeitbonifikation erarbeitet.
Doch diese war am nächsten Tag schon wieder verspielt. Ich kam zu spät zu meinem Start, wie man an diesem Foto herrlich begutachten kann.


Überstürzt nahmen das Team und ich das Rennen in Angriff.
Zeit zum nachdenken, sich  sammeln hatten wir ja genug. Auf der Soboth wars dann richtig heiß. Mein Team versorgte Herbert Ferstl, der mit zuckendem Krampf am Boden lag. So früh schon Probleme? Nicht gut genug ernährt und getrunken denke ich, möchte ich nicht haben, aber schon am nächsten Pass, der Abtei, wurde ich selbst von einem Krampf überrascht. Danke an Theresa für die Magnesium Sticks! Die wirken Wunder.

Der Weg bis Winklern war von hohem Tempo geprägt. Davor stieg ich nach 8h das erste Mal vom Rad und wollte sofort wieder weiter. Eigentlich keine Probleme bis zum Lesachtal. Doch nun wurde meine Energie aufgezehrt. Der Hintern ist bereits aufgeschürft, die Sonne im Steigen und das ständige Auf und Ab bei schlechtem Straßenbelag zehrt an den Nerven.
Wolfgang du bist schon weit gefahren, es ist keine Schande abzusteigen, diese Gedanken begleiten mich. Die Gedanken manifestierten sich aber nicht in die physische Umsetzung des Absteigens. Es geht ja gleich wieder bergab. Geirrt. Aber dort vorne geht's wirklich bergab, wieder geirrt. Ich erzählte voller Freude meiner Freundin, die mich herzlich betreute, dass es nun ganz sicher dort vorne bergab geht. Nach dem Rennen erzählte sie mir, dass es noch knapp zwei Stunden so dahin ging...

Aber irgendwann war's dann so weit. Der Weg nach Lienz war flott, in Lienz stauverseucht und danach einfach nur heiß den Iselsberg rauf. Wer hat nochmal gesagt der Iselsberg ist total einfach und flach? Sicher nicht so wie ich mich fühlte. Eine Pause musste gemacht werden.

Winklern II ist schnell absolviert und der Weg nach Heiligenblut angetreten. Verdammt ist das heiß! 32°C. Kaum 200Hm in Richtung Großglockner geschafft, und schon musste ich mich in einer kühlen Garage ausrasten. Aber das hat gerade genug Energie gegeben den großen Berg zweimal in Angriff zu nehmen. Heiß wars, aber schön, schön wie, schön viel Verkehr, schön langsames Tempo.
Aber mühsam ernährt sich das Eichhörnchen. Und ich habe mich ausreichend ernährt. Vielleicht zu viel, denn ab nun begleitete Durchfall meine Fahrt bis ins Ziel. Schaffe ich es? Wird es gefährlich für den Körper? Zeit zum Nachdenken habe ich ja genug. Ich kam zu keiner Entscheidung und auf einmal war ich auf der Edelweißspitze. Wahnsinn! Echt schön dort oben. Nur mehr nach Ferleiten runter und wieder rauf aufs Hochtor. Boah auf dieser Seite ist es ja noch heißer. Mein Gesicht hat eine weiße Farbe angenommen und es war nicht der reichlich aufgetragene 50erSonnenschutzfaktor der meine Haut färbte.

Ein Mitstreiter überholte mich und erzählte meinen Teamkollegen, dass ich nicht mehr gut aussehe(um es sehr diplomatisch zu sagen). Und wie fühlte ich mich? Nur mehr stehend fahrend - sitzend fehlte einfach die Kraft dazu (und der Hintern zwickte ja auch) - strampelte ich mit Blick gegen Boden dahin. Wolfgang steig ab, geh zu Fuß, du erholst dich dabei, steig ab!



Schiebe das Rad, es ist erlaubt. Es ist VÖLLIG OK so. Wow das klingt vernünftig,  ok ich werde absteigen.
Hmm aber irgendwie, irgendwas hielt mich davon ab. 
Warum steigst du nicht ab Wolfgang??? Wer redet da mit mir? 
Warum fahre ich noch immer und steige nicht ab? Boah ist das mühsam. 
Das Team motiviert mich, läuft mit Ghettoblasta neben mir her, macht Stimmung, lenkt mich ab. Und das mit Erfolg! Kaum am Hochtor II angekommen werde ich vom Team in Empfang genommen und rundum versorgt. 
Beine, Nacken massiert. Getränke nachgefüllt, Rindssuppe eingeflößt, Radl serviciert. 
Wow, sind Roland, Sabine, Manuel, Harald, Elisabeth (Christian wär,s auch gewesen) gut drauf.  Ich fühle mich wohl.
  
Es ist geschafft, die höchsten Höhen sind absolviert. Ab nach Winklern III und ab ins Mölltal. Eh nur bergab, ois easy. Ich und die Radkollegen werden von regem Gegenwind überrascht. Aber egal ich habe mein Mantra "Der Wind ist mein Freund, er macht mich im Training stark, im Rennen hassen ihn die Anderen, der Wind ist mein Freund"
Und so prallen die Böen körperlich wie mental von mir ab. Ich fühle mich stark, aber was ist nun? Mein Hinterteil fängt zum grummeln an. Uiui es pressiert. Ein WC muss her. Schnell!
Ein Gasthaus taucht in der Finsternis auf. Die Chance muss genutzt werden. Doppelschwenktür aufgestoßen, ich stehe mit wackeligen Beinen, hochgeklapptem Helmvisier vor dem verdutzt schauenden Schankwirt und seinen Gästen. Darf ich aufs WC, soll ich gesagt haben. Manche munkeln es war etwas derber formuliert:)
Nach ein paar Minuten WC-Pause mache ich mich wieder auf den Weg. Mein Team gönnt sich  derweilen Kaffee und Kuchen. Recht so.
Aber weiter geht's. Weiter, weiter. Spittal, Villach, Windische Höhen. Es geht gut.
Aber dann sind die Hinternschmerzen kaum mehr zum Aushalten. Ich gehe in den Schmerz hinein, es brennt, jo mei. Das Brennen wird stärker, ich versuche mit festem Anpressen der Hände am Lenker den Schmerz zu verschieben. Vergeblich. Ich fange zu schreien an. What the fuck! Ich werde wohl so ein paar Wehwehchen aushalten können. Bin jo ka Waserl.
Vom Rad aufstehen zwei, dreimal treten, hinsetzen und ausrollen, kilometerlang. Das ist ja kein Rad fahren mehr!
Reiß dich zusammen! Zusätzlich beginnen meine Knie zu schmerzen da ich zu viel im Stehen fahre. Es ist noch finster und so zumindest kühl. Eine der wenigen Freuden zu dieser Stunde (Außer meine zwei Betreuerdamen die gute Stimmung verbreiten und sehr interessante Dinge sprechen:))
Schaidasattel ist mühselig und die Strecke zieht sich, aber da ich den Fokus noch immer zu 100% halte, schaffe ich auch den vorvorletzten Berg.
Die Sonne erwacht von Neuem und nun geht's zur Soboth II.
Ich fürchte mich ein wenig davor. Die Knie könnten versagen, der Durchfall seinen Tribut fordern und ich bin müde.
Ich beginne den Anstieg und fahre langsam. Die Augen sind fast ganz geschlossen, ich sehe Betonsäulen, Betontröge vor meinem Auge, ich habe Sekundenschlaf, ich halluziniere. Es sind auch schon 40h ohne Schlaf. 20 Minuten verstreichen und plötzlich bin ich wieder putz munter. Fange mit mir zu reden an. Wolfgang du bist ein Radfahrer, also verhalte dich auch so. Und es wirkte...
Von nun an war ich wieder völlig klar im Kopf. Ein, zwei Bewegungen am rechten Schaltgriff und das Tempo war wieder eines Rennens würdig. Cola und Weckerl sind ab nun meine Nahrung.
Ich gab alles, ich wurde immer schneller, konnte sogar noch einen anderen Mitstreiter einholen. Meine Position im Rennen wusste ich nie. Es war mir egal. Mein Ziel war es unter 50 Stunden zu schaffen. Und wie ich dieses Ziel erreicht habe! 43h 15min waren es im Ziel. Wow!

So nun durfte ich absteigen. Einfach absteigen und nun? Glücksgefühle, Befriedigung? Ich kann es nicht sagen, es war einfach schön aber irgendwie schade dass dieses Rennen vorbei war. Nie mehr Glocknerman 2015. Wehmut. Dieses Rennen ist Geschichte.
Und dann doch, es freut mich umso mehr, die Umarmung meiner Freundin und des Teams zu spüren.
Das Ziel ist erreicht!

 
Wir haben es geschafft!

"Die mit dem Berg tanzen"

43h 15min
950km
15.100 Hm